Foto: Nicole Heiling

Hanni Rützler: "Ich sehe das unglaubliche kulinarische Potenzial pflanzlicher Ausgangsprodukte, wenn sie auf kreative, leidenschaftliche Köch:innen treffen."

18. Dezember 2025

„Pflanzliche ­Küche ist gekommen, um zu bleiben“

Pflanzliche Ernährung wird zur Normalität. Hanni Rützler erklärt im Gespräch mit Tophotel, weshalb Genuss der Schlüssel jeder nachhaltigen Esskultur bleibt.

Frau Rützler, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Transformation unserer Esskultur. Wie würden Sie die aktuelle Dynamik rund um pflanzenbasierte Ernährung beschreiben. Wo stehen wir gesellschaftlich auf diesem Weg?
Hanni Rützler: Mit dem wachsenden Verständnis und der Akzeptanz der Menschen, sich als Teil der Natur zu verstehen, wächst auch die Verantwortung sich an die planetaren Grenzen anzupassen und kreative, zukunftsfite Lösungen zu entwickeln. Seit wenigen Jahren haben wir Peak Meat erreicht, das heißt der Hunger nach Fleisch hat – zumindest in Europa – seinen Zenit überschritten, aber was wir stattdessen mit Genuss essen können, da fehlt uns oft noch etwas Phantasie. Klar ist, dass es im Hinblick auf Gesundheit und Nachhaltigkeit in Richtung mehr pflanzliche Lebensmittel gehen soll. Plant-based Foods, ein Synonym für Fleischersatzprodukte, werden insbesondere von jüngeren Konsumenten immer besser angenommen.

Ist pflanzliche Küche für Sie noch ein Trend oder bereits Teil einer kulinarischen Normalität?
In vielen urbanen Regionen zeigt sich heute deutlich, dass vegane und vegetarische Küche längst in der kulinarischen Normalität angekommen ist. Überall finden sich Lokale, die explizit vegetarische Gerichte anbieten. In der gehobenen Gastronomie und in vielen auf Wellness-Angebote spezialisierten Hotels sehen wir eine verstärkte Integration pflanzenbasierter Menüs. Ich sehe das unglaubliche kulinarische Potenzial, das Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Algen, Nüsse und Samen bieten, wenn sie auf kreative, leidenschaftliche Köchinnen und Köche treffen. Meine tollsten Esserlebnisse hatte ich in letzter Zeit in Restaurants, die sich voll dem „Vegourmet“-Trend verschrieben haben, wie etwa das Tian in Wien, oder in Häusern, die fusionierte Küchenstile meisterhaft verbinden und damit neue, vor allem auf ­pflanzlichen Ausgangsprodukten basierende ­Geschmackserlebnisse schaffen. Sie betonen in Ihrer Arbeit häufig, dass nachhaltige ­Ernährung nur über Genuss funktioniert.

„Meine tollsten Esserlebnisse hatte ich in letzter Zeit in Restaurants, die sich voll dem „Vegourmet“-Trend verschrieben haben.“

 

Welche Werte und Lebensstile treiben aus Ihrer Sicht die wachsende Nachfrage nach pflanzenbasierten Angeboten? Und wie unterscheidet sich dieser Wandel von früheren Ernährungstrends?
Nachhaltigkeit, Gesundheit und ethische Aspekte sind die zentralen Treiber. Da man aber jeden starken Trend an seinen Gegentrends erkennt, zeichnet sich auch eine neue Liebe zu qualitativ hochwertigem Fleisch – Stichwort Rasse, Herkunft und Reifung – ab, ein Trend, den ich als „Carneficionados“ bezeichnet habe. Ergänzt wird dieser mit Ernährungstrends wie Low Carb- oder Detox-Diäten.

Wie gelingt es Hoteliers, pflanzenbasierte Küche so zu gestalten, dass sie emotional und sinnlich überzeugt – und nicht als Verzicht ­wahrgenommen wird?
Ich kenne niemanden, der nach einem guten vegetarischen Essen sagt: Wow, das war jetzt wunderbar nachhaltig. Auch Menschen, für die Nachhaltigkeit und Ethik relevante Werte sind, wollen ihr Essen vor allem genießen. Nur wenn pflanzenbasierte Gerichte als Genuss und nicht als Verzicht erlebt werden, werden sie sich auch im Alltag einer fleischzentrierten Esskultur etablieren können. Und darin liegt die große gesellschaftliche Verantwortung von Hoteliers und Gastronomen. Sie können mit ihrem professionellen Know-how pflanzenbasierte Küche auf ein neues kulinarisches Niveau heben, indem sie Kreativität, hochwertige Zutaten und ansprechende Präsentation in den Vordergrund stellen.

„Ich kenne niemanden, der nach einem guten vegetarischen Essen sagt: ‚Wow, das war jetzt wunderbar nachhaltig‘. “

 

Durch innovative Rezepturen, die saisonale und lokale Produkte einbeziehen, schaffen sie Geschmackserlebnisse, die auch Karnivoren überzeugen. Dann kann es passieren, dass einem das Fehlen tierischer Produkte mitunter gar nicht auffällt, wie bei meinem letzten Hotelaufenthalt. Da gab es ein fleischloses Frühstücksbuffet, wo auf der Karte vermerkt war, dass bei Bedarf gerne Speck, Schinken und Fleischaufstriche an den Tisch serviert werden. Mir war – ehe ich das gelesen habe – gar nicht aufgefallen, dass beim Buffet etwas fehlte.

Vom einfachen Landgasthof bis zur Gourmetküche in Tophotels: Auch vegetarische Gerichte haben längst einen fixen Platz auf den Speisekarten. – Fotos: Wolfgang Reiter

Aktuell wird auf EU-Ebene darüber diskutiert, ob Begriffe wie „Veggie-Burger“ künftig verboten werden sollen. Was verrät uns diese Debatte über den kulturellen Wandel ­unserer Esskultur?
Es ist natürlich eine vollkommen überflüssige Debatte, da sie Konsumenten unterstellt, sie seien zu dumm, um zu begreifen, dass ein Veggie-Burger kein Fleisch enthält. Aber darin spiegeln sich die Ängste, die so ein nicht mehr zu übersehender, tiefgreifender kultureller Wandel mit sich bringt. Er führt uns die Sorgen um Traditionen, berufliche Identität – sprich Zukunftsängste – vor Augen, die wir ernst nehmen müssen. Denn etwas bewusst nicht mehr zu essen, impliziert ja immer auch eine Kritik an unserem gegenwärtigen Handeln, an unseren traditionellen Produkten und an der Art uns zu ernähren.

Wie wird sich die Bedeutung pflanzenbasierter Küche in der Hotellerie in den kommenden Jahren entwickeln, besonders im Zusammenspiel von Ökologie, Luxus und Gesundheit?
Die pflanzenbasierte Küche ist gekommen, um zu bleiben. ­Hotels, die diesem Thema besondere Aufmerksamkeit ­schenken, können nicht nur umwelt- und gesundheitsbewusste Gäste anziehen, sondern auch jene überraschen, die sich im Alltag eher konventionell ernähren. Im Urlaub ist man oft offener für Neues und entdeckt dabei, welch großes ­geschmackliches Potenzial Gemüse und Hülsenfrüchte haben. Genau hier braucht es innovative Köchinnen und Köche, die unsere ­Esskultur weiterentwickeln. Häuser, die diese Dynamik früh aufnehmen und aktiv gestalten, sichern sich klare Wettbewerbsvorteile.

„Natürlich steht die kulinarische Qualität an erster Stelle. Wenn Gerichte geschmacklich nicht überzeugen, hilft auch das tollste Storytelling nicht.“

 

Welche Elemente sind entscheidend, damit diese Konzepte in der Hotellerie erfolgreich sind – eher kulinarische Qualität, glaubwürdige Haltung oder intelligente Kommunikation?
Es braucht alle drei Elemente. Natürlich steht die kulinarische Qualität an erster Stelle. Wenn Gerichte geschmacklich nicht überzeugen, hilft auch das tollste Storytelling nicht. Eine glaubwürdige Haltung, die authentische Werte und Nachhaltigkeit verkörpert, schafft Vertrauen, intelligente Kommunikation ist hilfreich, um die Angebote ansprechend zu präsentieren.

Wenn Sie auf die kommenden zehn Jahre blicken: Welche Rolle spielen pflanzenbasierte Ernährung, alternative Proteine und neue Gastronomieformen für die Zukunft der Hotellerie und des Gastgewerbes?
Die Nachfrage nach nachhaltigen und gesunden Optionen wird weiter steigen. Alternative Proteine in Convenience-Produkten halten zwar zunehmend Einzug in den Essalltag privater Haushalte, speziell in der Gastronomie und Hotellerie aber sollte der Fokus nicht auf der Ernährung liegen, sondern auf genussvollem Essen. D.h. nicht „Proteine“, ob traditionelle oder alternative, will der Gast auf dem Teller sehen, sondern wohlschmeckende Speisen. Und dabei mehr Transparenz zur Herkunft und der nachhaltigen Ausrichtung der Küche.

Zuerst erschienen am 16. Dezember 2025 im Tophotel-Magazin. Das Interview führte Isabella Kormann.

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