Claire Vallee, die vom Guide Michelin als erste vegane Köchin mit einem Guide-Michelin-Stern ausgezeichnet wurde.
Seit Anfang 2020 gibt es im Londoner Restaurant "Pied a Terre" auch ein komplett veganes Gourmetmenü
10. Juni 2021
Vegourmets
Die Post-Corona-Gastronomie wird gemüsereicher sein
WIEN. Hanni Rützlers aktueller Foodreport war schon längst im Druck, da häuften sich die Nachrichten, dass die vegetarische Küche nun endgültig die Sterneküche erobern wird: Daniel Humms „Eleven Madison Park“ in New York City, eines der besten Restaurants der Welt, eröffnet Mitte Juni als vegetarisches Restaurant wieder seine Pforten, und der Schweizer Ausnahmekoch Andreas Caminada plant mit dem „Oz“ in Fürstenau in diesem Sommer einen rein gemüseorientierten Gastro-Tempel zu eröffnen. Humm und Caminada reagieren damit auf Entwicklungen in unserer Esskultur, welchen im Foodreport 2022 ein eigenes Kapitel gewidmet ist: Dem Wandel hin zu einer gemüsereichen Gastrolandschaft.
Denn längst sind die Zeiten vorbei, in denen vegetarische Gerichte nur den Gaumen von makrobiotischen Eiferern befriedigen. Zu den Restaurants, die in Zukunft auch ökonomisch erfolgreich sein werden, zählen insbesondere vegetarische oder solche, die pflanzlichen Speisen einen (auch kulinarisch) höheren Stellenwert einräumen. Denn während 2020 für einen Großteil der Gastrobetriebe kein gutes Jahr war, ist die Popularität und Akzeptanz vegetarischer und veganer Ernährung in der Pandemie weiter gestiegen. Auch in Deutschland, der Schweiz und Österreich ist der Wandel der kulinarischen Gewohnheiten nicht zu übersehen. Überzeugte Karnivoren, also jene, die uneingeschränkt Fleisch essen, gibt es immer weniger.
Rund 42 Prozent der Deutschen gaben bei einer aktuellen, in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Foods veröffentlichten Umfrage an, ihren Fleischkonsum bewusst zu reduzieren, indem sie sich vegetarisch, vegan, pescetarisch oder flexitarisch, d.h. mit pflanzlicher Kost und nur gelegentlichen fleischlichen Komponenten, ernähren. Auch zahlreiche andere Studien belegen diese Entwicklung, allerdings variieren die jeweiligen Prozentzahlen und die Selbsteinschätzung der Konsumenten und Konsumentinnen zeichnet mitunter ein zu rosiges Bild.
Die Pandemie pushte den Trend zur vegetarischen Küche
Entscheidender für die zukünftige Entwicklung aber ist, dass es bei allen Umfragen die jüngeren Generationen sind, die weniger bis gar kein Fleisch essen und weniger bis gar keine tierischen Produkte konsumieren. 10,4 Prozent der für den aktuellen Fleischatlas repräsentativ befragten Jugendlichen in Deutschland ernähren sich schon vegetarisch, und 2,3 Prozent vegan. Insgesamt verzichten also ungefähr 13 Prozent der 15- bis 29-Jährigen grundsätzlich auf Fleisch. In Großbritannien, schon vor der Pandemie Vorreiter für pflanzenbasierte Ernährung, ist diese Entwicklung noch deutlicher zu sehen: Laut der Vegan Society hat die Pandemie 20 Prozent der Briten und Britinnen zu einer (weiteren) Reduktion des Fleischkonsums veranlasst. Ausschlaggebend war vor allem die Sorge um Gesundheit, Umwelt und Tiere (43 Prozent), nur 15 Prozent gaben finanzielle Motive an.
Pflanzlich ist nicht Fleischersatz
Was bei pflanzlich orientierten Gourmet-Restaurants heute auf den Teller kommt, hat freilich so gut wie nichts mit Fleischersatzprodukten zu tun, wie sie von der Lebensmittelindustrie und manchen veganen Start-up-Produzenten gehypt werden. Den Spitzenköchen wie Paul Ivić vom Wiener Tian, Alexis Gauthier vom Londoner Gauthier Soho oder Tobias Buholzer im Schweizerischen Rüschlikon geht es nicht darum, mit ihren Gerichten den Geschmack von Fleisch zu imitieren. Vielmehr kreieren sie aus Gemüse, Obst, Getreiden, Hülsenfrüchten und Kräutern originäre Speisen, bei deren Genuss niemand das Tierische vermisst.
Foodreoprt 2022: „Künftig werden pflantliche Gerichte ein fester Bestandteil eines jeden guten Restaurants sein.“
Das Veggie-Menü wird in der Gastronomie zum Standard
Angetrieben durch das wachsende Bewusstsein für Gesundheits- und Umweltbelange und die steigende Wertschätzung für alte Gemüsesorten und handwerklich hergestellte Produkte, bieten auch immer mehr „traditionelle“ Feinschmeckerlokale – zusätzlich zu Menüs mit Fisch und Fleisch – durchdachte vegetarische Degustationsmenüs an. Dabei werden innovative Zubereitungen von Gemüse, Obst, Getreide und Pilzen in den Mittelpunkt gestellt und frische Kräuter werden nicht nur zum optischen Aufputz der Gerichte verwendet. Doch wie die Erfahrungen britischer Gastronomen zeigen, ist es nicht immer einfach, auf das rasch wachsende Interesse der Gäste für vegetarische Küche zu reagieren: Es fehlten und fehlen noch immer Köche, die ausreichend Know-how mitbringen, um gute vegetarische und vegane Gerichte zu kochen. Außerdem fordert fleischlose Küche mehr Fantasie – und zwar täglich. (wr)
Mehr zum Thema „Vegourmets“ und zahlreiche Best Practice-Beispiele finden Sie im Foodreport 2022. Bestellen können Sie ihn hier.
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