3. Mai 2024
Wie nachhaltig und regional isst Vorarlberg?
In ihrem Essay für das Original-Magazin wirft Hanni Rützler einen Blick auf nachhaltige landwirtschaftliche und gastronomische Betriebe ihrer Heimat
Der Bergkäs, der Sura Käs, die Käsknöpfle und das Ländle Kalb, die Flädlesuppe und der Riebel – die kulinarischen Klischees kommen einem als Antwort auf die Frage, wie nachhaltig, regional, biologisch und saisonal Vorarlberg isst, natürlich als erstes in den Sinn. Aber genauso wenig, wie die Wiener und Wienerinnen täglich Tafelspitz und Schnitzel essen, finden sich heute die Klassiker der Vorarlberger Küche tagaus, tagein auf dem Speiseplan der „Gsiberger“ und „Gsibergerinnen“.
Selbstverständlich spielen Milch, Käse und damit auch Fleisch in einer vorwiegend alpinen Region, in der die Landwirtschaft vor allem von Milchwirtschaft und Tierzucht geprägt ist, weiterhin eine entscheidende Rolle. Schließlich prägen nicht nur die traditionellen bäuerlichen Gehöfte und die spektakuläre, moderne und nachhaltige Holzarchitektur die Vorarlberger Landschaft, sondern auch die 65.000 Rinder und 15.000 Schafe, die zu einem Großteil auf den Weiden im Montafon und Bregenzerwald grasen, über weite Strecken die Landschaft. Und wenn man in Bregenz, Dornbirn, Feldkirch oder Bludenz Fleisch und Fleischwaren, Milch und Milchprodukte einkauft, sind es in der Regel Produkte aus regionaler Produktion. Dennoch liegen die Vorarlberger und vor allem die Vorarlbergerinnen auch beim Konsum von Gemüse über dem österreichischen Durchschnitt.
Regionalität spielt insbesondere in der Gastronomie eine große Rolle. Sie wird nicht nur in den vielen Restaurants, Gasthöfen und Hotels auf Hauben- und Sterne-Niveau zelebriert, sondern auch in der Gemeinschaftsverpflegung. Dank der Initiative „Vorarlberg am Teller“, die sich mit großem Erfolg für regionale Bioprodukte in Spitälern, Pflegeheimen, Kindergärten und Kantinen starkmacht, kommen jährlich an die dreieinhalb Millionen hochwertige Mahlzeiten auf den Tisch. Sie fördern damit nicht nur eine gesunde Ernährung, sondern auch die Wertschöpfung im Land.
Und auch wenn der Anteil an Biobetrieben in Vorarlberg mit knapp über 16 Prozent im Vergleich zu anderen Bundesländern bescheiden wirkt, gibt es doch einige ökologisch wirtschaftende Vorzeigebetriebe, wie jenen von Ilse und Martin Hager, die auf ihren Alpen Haslach und Binnel inmitten des größten Vorarlberger Naturschutzgebiets eine Vielfalt an regionalen Produkten herstellen. Oder der von Simon Vetter, der sich vor einigen Jahren von der Viehzucht verabschiedet hat, um sich gänzlich auf den Gemüseanbau zu konzentrieren, und damit auch die Weichen für eine noch klimafreundlichere Landwirtschaft gestellt hat: regional, biologisch und auch ein wenig exotisch. Auf seinen Feldern wachsen je nach Saison die unterschiedlichsten Kulturpflanzen. Nicht nur Karotten und Kartoffeln, sondern auch Auberginen, Pak Choi, Pastinaken und Yellow Submarine, die kleinen birnenförmigen Kirschtomaten. Eine vielseitige, nachhaltige Fruchtfolge mit Zwischenfrüchten und Gründüngungspflanzen hält die Felder fruchtbar. In einem neuen, kleinstrukturierten Marktgarten experimentiert Vetter zudem fast ohne Maschineneinsatz mit weiteren neuen Sorten, um die Biodiversität zu fördern und den Boden zu regenerieren. Das macht ihn zu einem wichtigen Pionier, denn zu beiden Themen braucht es in Zukunft deutlich mehr Aktivitäten, Forschung, Netzwerke und Unterstützung, um die Resilienz zu fördern.
Eine weitere Vorreiterrolle in Sachen Regionalität und Nachhaltigkeit spielen in Vorarlberg die vielen engagierten Köche und Köchinnen. Vom Bodensee bis zum Arlberg hat sich ein einzigartiges, reichhaltiges Gastro-Biotop etabliert, das nicht nur einheimische Gourmetherzen höherschlagen lässt. Bei jedem meiner Besuche im „Ländle“ fällt es mir schwer, mich angesichts der Vielfalt an exzellenten Küchen zu entscheiden, wo ich zum Essen einkehren soll. Das kulinarische Credo, dass vor allem serviert wird, was gerade Saison hat, gilt fast überall. Und die regionalen Bezugsquellen hervorzuheben und zu nennen, ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, ob im „Ernele“ in Hittisau oder „Am Holand“ in Au. Und was nicht gleich auf den Teller kommt, wird eingeweckt, getrocknet oder anders haltbar gemacht, um die Regionalküche auch im Winter zu ermöglichen oder – wie im „Fuxbau“ in Stuben – sie den Besucherinnen und Besuchern als Take-away anzubieten.
Regionalität und Saisonalität hochzuhalten, heißt aber auch, in der Küche flexibel zu sein und den Gästen verständlich zu machen, dass manche Gerichte nicht immer verfügbar sind. Wenn der Bodenseefischer Martin Gugele einmal keine Felchen oder Welse fängt, dann gibt es im Hotel Gasthof „Krone“ in Hittisau Hecht oder Trüschen. Im benachbarten Bizau kocht Franziska Hiller im „Esszimmer“, dem Restaurant des Biohotels „Schwanen“, bedingungslos biologisch und bezieht ihr Gemüse und ihre Kräuter aus dem eigenen Garten und von einer solidarischen Landwirtschaft vor Ort.
Apropos Käsknöpfle: Auch wenn die Speisekarten der Gasthöfe und Restaurants heute deutlich mehr vegetarische Gerichte enthalten und dies in einer Qualität, bei der man Fleisch und Milchprodukte ganz und gar nicht vermisst: Den „gsiberger Signature Dish“ – natürlich mit regionalem Berg- und Räßkäs – kann man dennoch fast überall genießen und inzwischen auch fast überall kaufen – ab Hof, in den Sennereiläden oder beim regionalen Selbstbedienungsautomaten.
Hanni Rützlers Beitrag ist im April 2024 im Original-Magazin Nr.43 erschienen.
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