8. November 2023
„Wandel passiert schneller, als man denkt“
Trendforscherin Hanni Rützler erklärt im Gespräch mit Gastrofacts, wohin sich die bisher fleisch- und milchlastige Ernährungskultur bewegt und was es mit den Local Exotics auf sich hat.
Hanni Rützler, sogenannte Local Exotics finden in der Schweiz häufiger den Weg auf die Menükarte der Gastronomen. Was steckt dahinter und wie beurteilen Sie diesen Trend?
Für mich gibt hier es zwei Komponenten: Einerseits das wachsende Nachhaltigkeitsbewusstsein und das Interesse an der Region, andererseits der in der Schweiz deutlicher spürbare Klimawandel. Zugleich sehen sich viele Produzenten angesichts des Klimawandels gezwungen oder ermutigt, neue Wege zu gehen. «Local Exotics» bieten sich da als ideale Lösung an.
Bei welchen Local Exotics sehen Sie das grösste Potenzial, in Zukunft in der Schweiz angebaut zu werden?
In erster Linie werden es Pflanzen sein, die resistenter gegenüber Trockenheit sind – wie Erdnüsse – oder bei höheren Temperaturen gut gedeihen, beispielsweise Zitrusfrüchte, Oliven etc. In der Aquakultur exotische Fische und Meeresfrüchte. Aus kulinarischen Gründen Ingwer, der frisch und jung viel mehr Aroma hat. Da ist noch viel Luft nach oben.
Gerade auf Konsumentenseite wird betont, dass der Wille zum Konsum nachhaltiger Lebensmittel vorhanden und wünschenswert sei, die Produkte jedoch zu teuer seien. Wie schätzen Sie dies ein?
Das liegt auch daran, dass die ökologischen Kollateralschäden – Stichwort Bodendegeneration, Wasserverbrauch, Biodiversitätsverlust – bei Produkten aus konventioneller, industrieller Landwirtschaft nicht eingepreist werden. Da besteht immer noch zu wenig Kostenwahrheit.
Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, damit die Produkte erschwinglicher werden?
Lebensmittelpreise sind in Zeiten der Inflation ein mächtiges Thema. Aus historischer Perspektive lässt sich sagen, dass die Lebensmittelpreise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ein Drittel gesunken sind. Der Ausgabenanteil für Lebensmittel an den gesamten Konsumausgaben in Schweizer Privathaushalten hat sich von 1969 bis 2019 um zwei Drittel reduziert: von über 30 Prozent auf knapp 10 Prozent. Dieses Wissen ändert nichts daran, dass vielen die aktuellen Steigerungen der Lebensmittelpreise Sorgen machen.
Kaufen Konsumentinnen und Konsumenten heute vermehrt nachhaltige Produkte?
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2023 weist aus, dass rund 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beim Lebensmittelkauf auf lokale Produkte achten. Deutlich wird dieser Trend in der Gemeinschaftsverpflegung.
«Gastronomen sind gefordert, die Zukunft aktiv mitzugestalten.»
Welchen Nutzen hat es für einen Gastronomen, vermehrt auf lokale und regionale Produkte sowie Local Exotics zu setzen?
Es lohnt sich heute, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, denn der politische Druck, in der Gastronomie nachhaltiger zu werden, wird zunehmen. Aktuell kann man mithilfe dieser Trends das eigene kulinarische Profil nachschärfen und zunehmend Gäste, die bei Restaurantbesuchen auf ihren ökologischen Fussabdruck achten, ansprechen.
Local Exotics findet man vor allem in der gehobenen Gastronomie. Teilen Sie diesen Eindruck?
Natürlich. Die Spitzengastronomie ist Treiber von Trends. Avancierte Köche sind, wie ich es genannt habe, «kulinarische Zukunftsdesigner». Vieles, was sie «entwerfen», findet man früher oder später in der breiteren Gastronomie. Und je mehr exotische Produkte von lokalen Landwirten, Gärtnern und Züchtern angeboten werden, desto schneller werden sie sich dort durchsetzen.
Steht die Gastronomie Ihrer Meinung nach vermehrt unter Druck, nachhaltiger zu werden, weil die Gäste mehr Wert auf den ökologischen Fussabdruck der Lebensmittel legen?
Nachhaltigkeit ist ein unsere Esskultur bestimmendes Thema. Und da sind Gastronomen gefordert, die Zukunft aktiv mitzugestalten und ihren Gästen mit entsprechenden Angeboten entgegenzukommen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach der Gast der Zukunft und damit die Gastronomie der Zukunft aus?
Es gibt nicht den Gast und die Gastronomie. In unserer pluralistischen Gesellschaft werden wir in Zukunft viele unterschiedliche Gastrokonzepte sehen. Unbestritten ist, dass Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle einnehmen wird. Und dass in einer traditionell fleisch- und milchlastigen Esskultur wie in der Schweiz pflanzliche Gerichte mehr an Bedeutung gewinnen werden.
Das Interview mit Hanni Rützler ist in der Nr.40/2023 des Schweizer Magazins „Gastrofacts“ erschienen.
Mehr über innovative Schweizer Produzenten, die ihr Portfolio mit dem Anbau und der Zucht von Local Exotics erweitern, lesen Sie hier.
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