Grafik: Hanni Rützlers Foodreport 2015

Schon im Foodreport 2015 hat Hanni Rützler hybride Konzepte in der Gastronomie und im Handel als zukunftsträchtige Modelle für die kulinarische Nahversorgung beschrieben. In der aktuellen Virus-Krise finden diese Modelle vor allem für Gastronomiebetriebe neue Bedeutung: Das Grocerant, die Kombination von Restaurant und Feinkostgeschäft, macht Betriebe nicht nur resilienter, sie kommt auch den Bedürfnissen vieler Konsumenten sehr entgegen.

8. Juni 2020

Der Aufstieg der Grocerants

Die Krise macht es möglich: Immer mehr Restaurants werden nun auch zu Feinkostläden

WIEN. Der Shutdown hat die Gastronomie tief getroffen. Das traditionelle Geschäftsmodell – Kochen für Gäste, die vor Ort bedient werden – funktionierte in der Krise nicht. Und auch nach den Lockerungen der gesundheitspolitischen Maßnahmen zeigt sich die Gastronomie aufgrund ihrer monofunktionalen Ausrichtung volatil und verwundbar.

Nach der ersten Schockstarre haben viele Gastronomen in einen neuen Kreativmodus geschaltet: Sie stellten Take-Away-Gerichte her und versorgen Kunden via Lieferservice oder durch „Ab-Restaurant-Verkauf“ mit Speisen in gewohnter Qualität. Andere gehen nun noch einen Schritt weiter und versuchen die Umsatzausfälle aufgrund der verordneten Verringerung der Anzahl der Tische durch neue Angebote zu kompensieren, die Restaurants in kleine Feinkostgeschäfte verwandeln: in sogenannte Grocerants! Die Krise beschleunigt also Entwicklungen, die Restaurants resilienter machen und zugleich Gästen, die nicht nur online oder in Supermärkten einkaufen möchten, spannende kulinarische Optionen eröffnen.

Die Retail-Gastro-Hybride der Zukunft

Unter dem Strichwort „Die Retail-Gastro-Hybride der Zukunft“ haben wir solche Entwicklungen schon im Foodreport 2015 beschrieben. In Ländern mit weniger rigiden Gewerbeordnungen, wie etwa in Australien oder den USA, wurden hybride Retail-Gastro-Konzepte auch schon vor der Krise nicht nur von Supermärkten aufgegriffen, sondern auch von Restaurants erfolgreich umgesetzt. In der Krise sehen sich freilich noch mehr Gastronomen gezwungen, alte Routinen aufzugeben und neue Formate zu wagen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren.

Der New Yorker Edel-Italiener „Il Buco“ hat schon vor der Krise ein integriertes Negozio di Alimentari betrieben, das 10 bis 15 Prozent des Umsatzes generierte. In der Krise machten die Feinkostverkäufe sogar über 50 Prozent aus. Donna Lennard, die Patronin, rechnet damit, dass sich die Feinkostumsätze in Zukunft auf ein Viertel des Gesamtumsatzes bei „Il Buco“ einpendeln werden. (Foto: Il Buco)

Feinkosttheke als zweites Standbein

Eine solches zweites Standbein zu entwicklen und zu betreiben, ist für viele Gastronomen natürlich nicht einfach. Ein zusätzlicher Ladenbetrieb – auch mit sehr beschränktem, zum jeweiligen Restaurant passenden Sortiment – erfordert eine andere Logistik und adaptierte Infrastrukturen. Aus der Perspektive vieler Gäste und Kunden aber ist es eine Bereicherung, wenn sie bestimmte, im Restaurant verarbeitete bzw. verwendete Produkte (Fisch, Fleisch, Gemüse, Käse etc.) in guter Qualität oder vorgefertigte Komponenten wie Saucen, Fonds, Dressing oder Dips, für deren Herstellung in den meisten Haushalten kaum alle notwendigen Ausgangsprodukte vorhanden sind, erwerben können. Grocerants tragen damit mittelfristig auch dazu bei, das Kochen zu Hause zu unterstützen und kulinarisch zu optimierten.

Konzeptionell vom Start weg als Grocerant konzipiert: Das „Goldfisch“ in Wien, in dem Petra Götz-Frisch und Sebastian Slavicek neben einem Bistro auch einen Fischmarkt und eine Vinothek betreiben. (Foto: Goldfisch)

Gefordert sind dafür aber nicht nur Engagement und Flexibilität der Gastronomen, sondern auch des Gesetzgebers bei der Gewerbeordnung und den Kennzeichnungs- und Hygiene-Vorschriften. (wr)

„Mayer & Freunde“: Neben der exquisiten Küche kann man im Bistro von Nathalie Le Reun und Alexander Mayer auch feinste Käse, Pasteten, Würste, Schinken und viele andere Leckerbissen erwerben. Und das eine oder andere Gericht gibt’s auch im Glas zum mitnehmen. (Foto: Mayer & Freunde)

Goldfisch, Mayer & Freunde, Il Buco

 

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