Foto: Wolfgang Reiter

„Die Zeiten von Schnitzelbergen für das traditionelle Publikum sind passé.“ (Hanni Rützler)

22. Januar 2024

„Abnehmspritzen sind für die Gastronomie das geringste Problem“

Im Interview mit dem Handelsblatt spricht Hanni Rützler über Schnäppchenjägermentalität und warum der Einsatz von Convenience-Produkten in der Individual-Gastronomie auch keine Lösung ist.

Frau Rützler, Essengehen ist deutlich teurer geworden, nicht erst seitdem die Mehrwertsteuer auf Speisen im Januar wieder von sieben auf 19 Prozent angehoben wurde. Würgt die Teuerung die Erholung der coronageplagten Gastro-Branche ab?

Die Deutschen sind Schnäppchenjäger – gerade beim Thema Essen und Essengehen. Das fällt mir als Österreicherin immer wieder auf. Quer durch alle Schichten gehört es zum guten Ton, für Gutes möglichst wenig Geld auszugeben und über die Preise zu reden – auch im Restaurant. In der Pandemie haben zudem viele gemerkt, dass Kochen nicht nur Spaß machen kann, sondern sich damit auch viel sparen lässt. Dadurch sind viele noch preissensibler beim Essen geworden. Dieser Trend wird sich in Zeiten der Teuerung weiter verfestigen. Vielen fällt es leichter, beim Essengehen zu sparen als beim Auto, Reisen oder Unterhaltung.

Etliche kleine Restaurants kämpfen bereits ums Überleben. Große Ketten wie McDonald’s oder Subway hingegen haben ehrgeizige Wachstumspläne. Ist es vor allem die Inflation, die die Deutschen verstärkt zu Fast-Food-Ketten treibt?

Leider ja. Ein Teil der Gesellschaft spürt die Teuerung deutlich und muss jeden Cent umdrehen. Fast-Food-Angebote sind so beliebt, weil es stets auch günstige Varianten gibt. Sparmenüs können sich auch Familien mit knappem Budget leisten. Die müssten sonst aufs Essengehen ganz verzichten.

2016 führten 35 Prozent aller Restaurantbesuche in Deutschland in die Systemgastronomie, nun sind es 45 Prozent. Wie verändert der Vormarsch der Ketten die Gastro-Landschaft?

Es ist traurig, dass globale Fast-Food-Riesen die lokale Gastronomie mehr und mehr verdrängen. Durch die Expansion internationaler Ketten gehen Vielfalt und Esskultur unwiederbringlich verloren. Dabei würden wir Restaurants mit heimischer Küche so dringend brauchen, um einen Systemwandel hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit zu erreichen.

„Quer durch alle Schichten gehört es in Deutschland zum guten Ton, für Gutes möglichst wenig Geld auszugeben und über die Preise zu reden – auch im Restaurant.“

 

Werden solche regionalen und individuellen Restaurants aus den Innenstädten verschwinden?

Die internationalen Ketten haben in den Fußgängerzonen der großen und mittleren Städte schon fast alles eingenommen. Oft merkt man gar nicht mehr, in welcher Stadt man sich bewegt. Kapitalstarke Gastro-Ketten können sich teure Flagshipstores in Toplagen leisten, selbst wenn diese nicht profitabel sind.

Unter den Gastro-Ketten sind besonders Burgerbrater immer beliebter. Warum gerade die?

Der Burger hat sich emanzipiert und ist der Junkfood-Schmuddelecke entwachsen. In coolen Bars gibt es Burger mit speziellen Rindfleischarten und hausgemachten Soßen. Und die großen Ketten haben sich mit Fokus auf das Kernprodukt Burger neu erfunden – parallel zur Individualisierung der Bestellung. Fast-Food-Ketten haben auch die Themen ‚vegetarisch‛ und ‚vegan‛ inzwischen sehr professionell aufgegriffen.

Mit Blick auf den Marktführer: Welche Faktoren begünstigen die „McDonaldisierung“ noch?

Die globalen Ketten haben das Geschäft bis ins Kleinste professionalisiert. Fast Food ist hochstandardisiert. Die Systemgastronomie hat ihr Angebot in den letzten Jahren noch einmal auf gut laufende Produkte zugespitzt. Ketten können zudem in großen Mengen viel günstiger einkaufen als kleine Restaurants. Und Fast-Food-Riesen punkten mit Bestell-Apps, individualisierten Angeboten und Rabattcodes gerade auch bei den Digital Natives.

Inwieweit macht sich der Größenvorteil bei Lieferessen bemerkbar?

Ketten bieten standardisierte Speisen. Da weiß jeder, wie es schmeckt, egal in welcher Stadt. Lieferessen liegt auch nach der Pandemie voll im gesellschaftlichen Trend. Es wird öfter bestellt, auch weil sich Frauen nicht mehr selbstverständlich in die Küche stellen. Für kleine Restaurants kann Lieferessen ein gutes Zusatzgeschäft sein, aber dafür benötigen sie mehr Platz und Personal. Köche können ja nicht nur auf Bedarf angestellt werden, wenn viel los ist.

Überhaupt Personal zu finden ist ja derzeit schwierig für viele Gastronomen. Wie stark belastet die Personalnot die Branche?

Viele selbstständige Gastronomen hatten es schon vor Corona schwer. Es sind überwiegend Familienbetriebe. In denen hat die Verwandtschaft traditionell Spitzenzeiten und Personalnot abgefangen – meist ohne Bezahlung. Jetzt haben viele Restaurants Nachfolgeprobleme. Auch weil Familienmitglieder lieber woanders arbeiten. Personal ist teurer und seit der Pandemie noch schwerer zu finden. Der Kostendruck ist für Familienbetriebe deshalb noch stärker gestiegen als für Systemgastronomen.

„Weil Personal fehlt, greifen kleine Restaurants verstärkt auf Convenience-Produkte zurück. Diese Art von Billigangeboten sind für Einzelgastronomen der falsche Weg.“

 

Welche Folgen hat das?

Weil Personal fehlt, greifen kleine Restaurants verstärkt auf Convenienc-Produkte zurück wie fertige Schnitzel, Soßen und Beilagen. Ein Teufelskreis. Wenn alles schmeckt wie Tiefkühlgerichte, Dosengemüse, Fertigsalate aus dem Supermarkt, stellen sich viele die Frage: Warum soll ich dort essen gehen? Diese Art von Billigangeboten sind für Einzelgastronomen der falsche Weg. Sie haben nur mit einem eigenen kulinarischen Profil eine Chance, gegen Ketten zu bestehen.

„Es geht um frische moderne, regionale oder internationale Küchen. Viele müssen ihre Speisen dringend adaptieren, auch mehr frische, vegetarische und vegane Gerichte anbieten.“ (Foto: Wolfgang Reiter)

 

Mit welcher Küche können sich kleine Restaurants denn behaupten?

Es geht um frische moderne, regionale oder internationale Küchen. Ketten können regionale Spezialitäten nicht abbilden. Es muss nicht das Luxussegment sein. Aber die Zeiten von Fleisch- und Schnitzelbergen für das traditionelle Publikum sind passé.

Haben viele selbstständige Gastronomen diesen Wandel verschlafen?

Viele müssen ihre Speisen dringend adaptieren, auch mehr frische, vegetarische und vegane Gerichte anbieten. Auch die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten kann noch viel besser und professioneller werden. Da wurde mehr geredet als getan. Bei regionaler Esskultur ist der Koch oder das Personal auch nicht austauschbar wie in Ketten, wo viele nur angelernt sind. Das macht zwar den Charme aus, aber auch das Problem. Fällt jemand aus, reißt das eine große Lücke.

Wie lässt sich das lösen?

Es kann nicht mehr sein, dass Mitarbeiter – vor allem Familienmitglieder – zu unmöglichen Arbeitszeiten funktionieren müssen. Im Corona-Lockdown hat die Gastronomie viele Beschäftigte an Branchen mit geregelten Arbeitszeiten verloren. Junge Menschen, auch Fachkräfte, wollen mehr Lebensqualität, damit sie dauerhaft in der Gastronomie arbeiten. Eine Viertagewoche kann da eine Lösung sein.

Wäre die Digitalisierung eine Lösung für die Personalnot der Gastronomie? Der Trend geht ja zu digitaler Bestellung und Abholung am Tresen, nicht nur in Schnellrestaurants.

In den Ketten ist das heute Standard. Aber in individuellen Restaurants suchen die Gäste persönlichen Kontakt. Sie wollen vom Gastgeber wahrgenommen werden. Einsamkeit ist ein riesiges Thema in unserer Gesellschaft. Die Leute wollen raus – sehen und gesehen werden. Restaurants sind wie eine kleine Bühne, auf der ein spontaner sozialer Austausch stattfindet. Digitalisierung kann auf vielen anderen Ebenen helfen – etwa beim Einkauf, der Reservierung und in der Planung. Sie sollte aber bewusst eingesetzt werden, denn sie kostet natürlich auch. Viele Familienbetriebe haben in den letzten Jahren nicht investiert – auch nicht in Digitalisierung. Das rächt sich jetzt.

Erste Restaurants nutzen bereits Roboter als Köche und Kellner. Ist das für Sie ein Horrorszenarium oder durchaus sinnvoll?

Kochroboter werden immer besser. In der Gemeinschaftsverpflegung werden sie zunehmend erfolgreich eingesetzt. Als Kellner sind sie anfangs vielleicht lustig und spannend, Als Unterstützung zum Abservieren machen sie auch Sinn. Aber wenn wir im Restaurant nur noch digital bestellen und serviert bekommen und keinen Gastgeber sehen, können wir gleich liefern lassen. Dann ist der kritische Punkt erreicht. Die Gastronomie sollte KI und Roboter einsetzen, aber vor allem Menschen an den richtigen Schaltstellen einsetzen, sonst geht noch mehr Esskultur verloren.

„Auch die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten kann noch viel besser und professioneller werden.“

 

Apropos Esskultur. Die neuen Abnehmspritzen wie Ozempic sehen manche Experten als Bedrohung für die Gastronomie. Müssen sich Fast-Food-Restaurants Umsatzsorgen machen? In Deutschland gilt immerhin jeder Fünfte als adipös.

Die Abnehmspritzen sind nur ein Hype. Eine Veränderung der Bewegungs- und Essgewohnheiten ist ein viel mächtigerer Hebel für ein gesundes Gewicht: Dabei gilt es, den Mund als Genussraum zu entdecken, statt brav zu schlucken. Adipositas ist nicht nur zu viel essen, sondern zu viel nebenher essen. Die Spritzen mindern zwar den Appetit, aber werden die Gastro-Branche nicht auf den Kopf stellen. Abnehmspritzen sind für die Gastronomie in Deutschland das geringste Problem.

Das Interview von Katrin Terpitz mit Hanni Rützler ist am 10.Jänner 2024 im Handelsblatt erschienen.

  • Esskultur
  • Gastronomie
  • Hanni Rützler
  • Interview